Dokumentarfilm als Kunstform

Die Kunstlehrerin Alessandra Farallo erzählt von der Besonderheit schulischen Filmemachens

 

Alessandra Farallo, Gymnasium Trudering, bei der Preisverleihung des Jugendfilmwettbewerbs auf dem DOK.fest München
Alessandra Farallo, Gymnasium Trudering, bei der Preisverleihung des Jugendfilmwettbewerbs auf dem DOK.fest München 2023 (c) DOK.fest München


Alessandra Farallo, Gymnasiallehrerin für Kunst und Film am Gymnasium Trudering, hat Kunsterziehung an der LMU München und an der Akademie der bildenden Künste in München studiert. Sie absolvierte die Multiplikator*innen-Ausbildung für Lehrkräfte im Bereich Film und Theater an der Akademie für Lehrkräftefortbildung in Dillingen und unterrichtet seit 20 Jahren Film am Gymnasium.

Im Gespräch mit Mona Klöckner (DOK.education) berichtet sie von der Filmpraxis mit Schüler*innen, der Inspiration, Geschichten zu erzählen und der Umsetzbarkeit von Filmpraxis an der Schule.

 

Wir hören von Lehrer*innen-Mangel und Problemen, den Lehrplan umzusetzen. Aber Sie scheinen es seit Langem zu schaffen, Filmbildung und Medienkompetenz im Unterricht umzusetzen. Wie gelingt Ihnen das in ihrem persönlichen Schulumfeld?
Ich binde filmische Projekte – neben meiner Arbeit in meinem Wahlkurs Film, den ich seit vielen Jahren anbieten darf – in vielen Klassen in den regulären Unterricht ein. Das Fach Kunst bietet sehr viele Freiräume, die genutzt werden wollen und der Lehrplan öffnet weite Interpretationsmöglichkeiten. Nicht immer entstehen „sendefähige“ Produkte, aber um das Machen an sich geht es, um das Arbeiten in Gruppen ­– und das alles im Rahmen der Möglichkeit, am Gymnasium Trudering die Schüler*innen in unseren offenen Lernlandschaften „laufen zu lassen“.


Was sind die wertvollen Aspekte der Filmpraxis an der Schule? Warum würden Sie anderen Lehrkräften das Filmemachen mit Schüler*innen empfehlen?

Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen bringt unheimlich viel kreative Schaffenskraft mit. Über den gemeinsamen Diskurs und das Reden über Film präzisieren bzw. feilen wir an Ideen. Manchmal sind es auch komplette Alleingänge der Schüler*innen, über die ich nur staunen kann. Da lerne ich täglich Neues dazu.

Ich brenne seit meinem Studium (also seit knapp 30 Jahren) für das Medium Film/Video, habe also schon etwas Vorlauf, empfehle aber allen Kolleg*innen, ob jung, ob alt, sich an die Filmarbeit zu machen. Sehr dankbar bin ich für die Etablierung von iPads in den Schulen, mit der die (technische) Seite der Filmarbeit einfach selbsterklärend ist. Ich kann den Schüler*innen einiges über Bildgestaltung vermitteln, die Arbeit mit den Tablets geht dann (fast) ganz von alleine.


Sie sind explizit auch dafür bekannt, das Format Dokumentarfilm – in Abgrenzung zu Reportagen und Dokumentationen – für sich und die Schüler*innen entdeckt zu haben. Was ist für Sie das Besondere am Dokumentarfilm als Kunstform?

Dokumentarfilm mag sich zwar im ersten Moment irgendwie „staubtrocken“ anfühlen, bietet aber so viel kreative und emotionale Gestaltungsmöglichkeiten – eben in der Verdichtung von Wirklichkeit und mit dem Potential, als Filmemacher*in einen eigenen Fokus auf ein selbst gewähltes Thema zu legen. Besonders spannend ist die Recherche nach geeigneten Protagonist*innen, das ist die halbe Miete! Und so nebenbei gesagt: Für Spielfilm benötigt man Schauspieler*innen, die man am Set managen muss. Dokumentarfilm funktioniert auch im Kleinen.


Die Filmprojekte Ihrer Schüler*innen gewinnen Preise beim Jugendfilmwettbewerb von DOK.education, laufen auf den Filmtagen Bayerischer Schulen – sie gehen erfolgreich hinaus in die Welt und werden zum Sprachrohr für das, was die Jugendlichen erzählen wollen. Wie kann ich mir das bei euch konkret vorstellen? Wie lange beschäftigen sich die Schüler*innen während eines Projektes mit Dokumentarfilm und wie wirkt sich das auf ihren (schulischen) Alltag und ihre Persönlichkeitsentwicklung aus?

Im neuen G9 läuft das P-Seminar Dokumentarfilm über ein Schuljahr, vorher war es ein halbes Jahr länger. Das ist schade, weil die Produktionszeit stark verkürzt ist. Viele Kolleg*innen befürchten, dass die Projekte nun eher eine Alibifunktion bekommen, weil das Seminar zudem stärker verschult ist durch verbindliche „kleine Leistungsnachweise“. Statt zwei Filmen wird so in meinem Kurs nur noch eine Produktion pro Gruppe (à drei bis vier Jugendlichen) entstehen. Vorteil ist aber, dass das P-Seminar nun in der 11. Klasse durchgeführt wird, und die Schüler*innen danach noch zwei Jahre an der Schule sind. Das vereinfacht unsere Zusammenarbeit im Hinblick auf Filmwettbewerbe.

Im normalen Unterricht läuft so ein Filmprojekt im Klassenverbund dann eher im Sommer in den letzten 6-8 Schulwochen (wenn es mit anderen Themen dann eher schwierig wird, die Schüler*innen „bei Laune“ zu halten).


Was sind ihre wertvollsten Tipps für andere Lehrkräfte? Wie regen Sie die Schüler*innen dazu an, spannende Geschichten zu erzählen? Was passiert im Vorlauf zum Dreh?
Sehr wichtig ist das gemeinsame Sehen von Filmen, sei es andere Schülerfilme oder professionelle Produktionen – und v. a. das Sprechen über Film. Kürzlich prägte ein Schüler im P-Seminar den Begriff über einen eben gesehen Dokumentarfilm „der Film habe so viel Materie“.

Manchmal muss man aber auch einige Filmideen einbremsen, weil sie zu groß gedacht sind. Meine Schüler*innen des P-Seminars besprechen ihre Projekte immer mehrfach mit einem externen Partner, in unserem Fall einer renommierten Dokumentarfilm-Regisseurin, die einen dritten Blick (von außen) ermöglicht.

Besonders wertvoll sind natürlich Besuche von Festivals wie dem DOK.fest München – sei es die speziellen Schulprogramme mit den Kinoseminaren oder das Festivalprogramm DOK.4teens – oder die Filmtage Bayerischer Schulen, wo eine geballte Ladung unterschiedlichster Schulen aus dem ganzen Freistaat für drei Tage zusammenkommt.


Sie haben Kunsterziehung studiert und die Multiplikator*innen-Ausbildung für Lehrkräfte im Bereich "Film und Theater" an der Akademie für Lehrkräftefortbildung in Dillingen absolviert. Was genau lernt man dort? Wie beeinflusst die Ausbildung (und das Netzwerk) Ihre Filmpraxis noch heute?
Im Studium (zunächst an der LMU, später nach meinem Magister an der Akademie) hat mich das Medium Film/Video sehr rasch gefunden und nicht mehr losgelassen. Ich hatte an beiden Hochschulen sehr viel Freiraum, das zu machen, was ich wollte, dazu sehr kompetentes Lehrpersonal.

Die erste Schiene der Filmlehrerausbildung haben wir 2006 mit unserem Verein Drehort Schule e. V. selbst organisiert und auf Gleis gesetzt und sehr kompetente Referent*innen, professionelle Filmemacher*innen und Dozent*innen u. a. von der HFF gewinnen können, die ihr Lehrprogramm genau auf die Bedürfnisse und Ansprüche von uns Lehrkräften angepasst haben. So haben wir in einzelnen Modulen alle Bereiche der Filmproduktion kennen- und gleich vor Ort praktisch in Gruppen umsetzen gelernt. Durch Drehort Schule e. V. sind wir seitdem untereinander sehr gut vernetzt und schätzen es sehr, mit dem Team von DOK.education München und der HFF München solche unterstützenden Partner der Filmarbeit an Schulen zu haben!

 

Frau Farallo, herzlichen Dank für das Gespräch! Wir freuen uns auf weitere filmische Ergebnisse!

 

Das Interview ist erstmals erschienen am 23.11.2023 auf der Webseite BLLV Bayerischer Lehrer und Lehrerinnenverband.

 

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