Die Eröffnungsrede des Festivalleiters Daniel Sponsel

10 Jahre Festivalleitung DOK.fest München.

Heute beginnt das 10. Festival unter meiner Leitung. Was hat sich in diesen zehn Jahren getan? Ich könnte jetzt ausführlich über die Kinokrise sprechen oder über die 1317 Festivalfilme aus dieser Zeit oder über meine grauen Haare. Interessant finde ich, was ich im Grußwort zu meinem ersten Festival 2010 geschrieben habe – ich zitiere: „Den Nachweis, der Film SICKO von Michael Moore hätte maßgeblich zur Veränderung im amerikanischen Gesundheitssystem geführt, müssen wir an dieser Stelle aus Platzgründen schuldig bleiben.“ Sie erinnern sich: OBAMA CARE und ein afroamerikanischer Präsident, der den Friedensnobelpreis gewonnen hat. Das scheint alles sehr, sehr, sehr lange her zu sein.


António Guterres und der Stresstest.

Eine Zeile aus meinem aktuellen Grußwort in unserem Programm-Magazin ist vielfach zitiert worden: „Die Welt durchläuft gerade einen Stresstest“, das hat António Guterres, unser UN-Generalsekretär, in seiner Neujahrsbotschaft festgestellt. Bemerkenswert finde ich dabei den Umstand, dass wir allerorten Vorstände, Aufsichtsräte oder CEOs haben. Das weltumspannende Unternehmen UN darf immerhin von einem Sekretär geleitet werden. Beruhigend an dieser Neujahrsbotschaft finde ich den Gedanken, dass wir aktuell nicht in der Wirklichkeit, sondern nur in einer Simulation leben – beunruhigt bin ich im Wissen, dass der Gau in Tschernobyl durch einen Stresstest ausgelöst wurde.

 

Greta Thunberg und die Gretchenfrage.

Nun gibt es ja Greta Thunberg, unser gutes Gewissen. Sie spricht in ihrer jugendlichen Unbedarftheit all das aus, was wir nur ab und zu heimlich zu denken wagen. Unsere Zukunft ist nicht mehr ganz so offen, wie sie sein könnte und wir selbst sind die Ursache dafür. In dem neuesten UN-Bericht zum Artenschutz haben 150 Expertinnen und Experten aus 50 Ländern drei Jahre lang zahlreiche Studien ausgewertet. Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache: 3/4 der Landfläche ist ausgelaugt und 1/3 der Meere überfischt, das Artensterben so hoch wie nie und das Erreichen der gesetzten Klimaziele sehr unwahrscheinlich. Dabei sind Klima- und Artenschutz nicht nur Umweltthemen, sondern auch verantwortlich für die Entwicklung, für politische Stabilität und soziale Aspekte wie Flüchtlingsströme.

Die Automobilbranche scheint davon trotz Dieselskandals und der Diskussion um die CO2-Steuer so richtig noch nichts mitbekommen zu haben. Hier sehen wir eine aktuelle Werbung. Ein hochmotorisiertes Fahrzeug, mit Verbrennungsmotor, fährt jenseits aller Straßen, wahrscheinlich durch ein Naturschutzgebiet – sieht so die Zukunft der Mobilität aus?

Eine aktuelle Umfrage bezeugt: 3/4 der Deutschen fordern von der Regierung, mehr für den Klimaschutz zu tun, eine noch aktuellere Studie belegt: 2/3 der Deutschen wiederum sind gegen die CO2-Steuer. Beim Schachspielen würde man das ein Patt nennen, in der Umgangssprache: Wasch mich, aber mach nicht nass – was machen wir nun?

In einer aktuellen Radiowerbung der Süddeutschen Zeitung fragt ein Kind seinen Vater: „Du, Papa, wie ist das mit dem Klimaschutz? Die Welt ist so groß und wir sind so klein. Was kann ein winziger Mensch da tun?“ Ich weiß nicht, ob Sie die Antwort in der SZ finden, jedenfalls ist sie doch ganz einfach und wird von Greta fortwährend formuliert: Wir alle müssen unser Leben ändern.

Unsere Themenreihe DOK.focus humaNature prüft in acht Filmen das nicht ganz unbelastete Verhältnis zwischen Mensch und Natur – oder muss es umgekehrt genannt werden, das Verhältnis zwischen Natur und Mensch? Wer hat hier eigentlich mit wem ein Verhältnis und wer würde sich gerne trennen, wenn es denn ginge?


ANASTASIA oder die Genderfrage.

Unsere Bundeswehr hingegen hat die Zeichen der Zeit erkannt. Obwohl sie traditionell und ganz allgemein eine eher männerdominierte Organisationsform ist. Wir sehen hier Anastasia Biefang, eine Kommandeurin der Luftwaffe. Anastasia Biefang war zuvor ein Mann. Nun ist es für diese außergewöhnliche Frau nicht nur möglich, eine Karriere in der Bundeswehr zu machen, sondern der Regisseur Thomas Ladenburger durfte sie auf dem Weg vom Mann zur Frau vor allem auch am Arbeitsplatz bei der Bundeswehr mit der Kamera begleiten.

Dieser wirklich spannende Film skizziert ein sehr präzises Bild zur Frage, wo wir aktuell in der Genderthematik stehen. I AM ANASTASIA hat am Freitag im Atelier Premiere und nicht nur Thomas Ladenburger, sondern auch Anastasia Biefang werden dabei sein – unbedingt ansehen.


PUSH oder das Grundrecht auf Wohnen.

Noch ein Themenwechsel: Dieser sympathische Herr macht erfolgreich in Immobilien in Toronto. Es ist ein Bild aus dem Film PUSH von Fredrik Gertten. Nicht nur hier in München, sondern auch in anderen Städten auf dieser Welt blüht das Geschäft um den Wohnraum. Meines Wissens gibt es das verbriefte Menschenrecht auf angemessenes Wohnen, es ist in Artikel 11 (Abs.1) des UN-Sozialpakts verankert. Dieser Pakt ist keine unverbindliche Absichtserklärung: Er garantiert allen Menschen Rechte, die kein Staat gefährden darf bzw. für deren Einhaltung ein Staat zuständig ist. Ich habe trotz intensiver Recherche nirgendwo ein verbrieftes Recht auf Gewinnmaximierung durch das Geschäft mit Immobilien gefunden.

Der Film PUSH begleitet die UN-Kommissarin Leilani Farha bei ihrer Arbeit um den Globus. Wen wundert es, sie hat viel zu tun. Der Film ist am Freitag hier im Deutschen Theater zu sehen. Leilani Farha und Fredrik Gertten werden zu Gast sein.

 

THE WHALE AND THE RAVEN.

Ich komme noch einmal zurück zum Verhältnis zwischen der Natur und uns Menschen. Unser Eröffnungsfilm THE WHALE AND THE RAVEN von Mirjam Leuze zeugt davon, dass es da etwas gibt, was sich nicht so einfach in Worte fassen lässt. Und es gibt Menschen, die dafür einstehen und die werden Sie heute Abend hier auf der Leinwand kennenlernen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – ich wünsche Ihnen allen eine emissionsfreie Reise an die Westküste Kanadas. Und gehen Sie die kommenden Tage ins Kino, lernen Sie die Welt kennen, kommen Sie auf das 34. DOK.fest München.