Zusammen über den Tellerrand blicken

Susanne Starman und Serkan Erol berichten über ihre Film-AG an der Anna-Pröll-Mittelschule in Gersthofen.

DOK.fest 2025 Preisverleihung: Mathis Welker (Juror & BLLV), Maya Reichert (Leitung DOK.education), Preisträgerin Miray Erbolat mit ihrem Filmteam und den Filmlehrkräften Serkan Erol (5. v.l.) und Susanne Starman (r.)


Susanne Starman und Serkan Erol, Lehrkräfte an der Anna-Pröll-Mittelschule in Gersthofen, berichten im Gespräch von ihrer pädagogischen und künstlerischen Arbeit. Schon zweimal in Folge wurden Filme ihrer Schüler*innen beim bayernweiten
Dokumentarfilmwettbewerb für junge Menschen mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Die Filme ihrer Schüler*innen setzten sich gegen 50-70 Filmarbeiten von Schüler*innen aller Schulformen durch, zuletzt KOKI von Miray Erbolat.

Fachliche Inhalte und Prüfungen haben ihren Platz – doch die persönliche Entwicklung junger Menschen ist mindestens genauso bedeutend. Die beiden Lehrkräfte nutzen Film als Ausdrucksmittel, das sie fächerübergreifend einsetzen. In ihrer Film-AG setzen sie sich gemeinsam mit Jugendlichen künstlerisch, gesellschaftlich und persönlich mit deren Lebensrealität auseinander – und stärken dabei Selbstwert, Ausdrucksfähigkeit und Zusammenhalt. In Filmprojekten übernehmen Schüler*innen oft Aufgaben, die sie sich zuvor nicht zugetraut hätten. Dabei werden nahezu alle wichtigen Schlüsselkompetenzen gefördert – besonders die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Das wirkt sich langfristig positiv auf das gesamte Schulleben aus.

Im Interview mit Maya Reichert erzählen beide von ihrer Zusammenarbeit.

Frau Starman, Herr Erol – Sie leiten gemeinsam eine Film-AG. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Serkan Erol:  Meine Kollegin Susanne Starman wechselte aus der Architektur und dem Film als Quereinsteigerin an die Anna-Pröll-Mittelschule. Ich hatte kürzlich die Filmlehrerausbildung in Dillingen abgeschlossen. Unser gemeinsames Interesse für Film war Ausgangspunkt für unsere Zusammenarbeit. Mein Schwerpunkt liegt in der Literatur und im Theater. Der vielfältige künstlerische Hintergrund ist eine unserer großen Stärken. Im Co-Teaching ergänzen wir uns nicht nur inhaltlich, sondern auch menschlich: Unsere unterschiedlichen Zugänge zu den Schüler*innen ermöglichen ein breiteres Lernfeld – künstlerisch wie pädagogisch.

 

Wie lässt sich Filmarbeit in den schulischen Alltag einer Mittelschule integrieren?

Susanne Starman: Die Mittelschule arbeitet mit dem Klassenleiterprinzip, was fächerübergreifendes Denken fördert. Wir bauen die Filmarbeit bewusst in größere pädagogische Kontexte ein – wie zum Beispiel kürzlich ein Ausflug zum Haus der Kunst oder die Abschlussfahrt nach Malta, worüber die Schülerinnen und Schüler ihre persönliche Wahrnehmung als kurze Videos zum Ausdruck gebracht haben. Oft nehmen wir schulische Gegebenheiten zum Anlass – sei es der Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, Themen aus dem Alltag der Jugendlichen oder künstlerische Wettbewerbe, die gesellschaftlich relevante Fragestellungen aufwerfen. Die Kamera wird dabei zum Werkzeug, um Beziehung, Ausdruck und Kreativität zu fördern.

 

Ihr erster Dokumentarfilm PRAKTIKUM (2024) erzählt von Erfahrungen Ihrer Schüler*innen während dem Praktikum. Was war Ihnen dabei wichtig?

Serkan Erol: Die Mittelschule ist oft mit Klischees behaftet. Unser Ziel war es, ein authentisches Bild zu zeigen – fernab von Vorurteilen. Uns war es wichtig, dass die Schüler*innen selbst erzählen, wie sie ihre ersten Erfahrungen im Berufsleben reflektieren, was sie bewegt und was sie sich für ihre Zukunft vorstellen.

Susanne Starman: Es war beeindruckend zu sehen, wie ernsthaft sich die Jugendlichen mit der Kamera auseinandersetzen. Film bieten ihnen eine Bühne – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Gerade für psychisch belastete Schüler*innen ist es eine Chance, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und Anerkennung zu erhalten.

 

Auch im zweiten Film KOKI (2025) befassen sich die Schüler*innen mit der eigenen sozialen Gruppe. Welche Beweggründe stecken hinter dieser Entscheidung?

Serkan Erol: Es hat praktische Gründe - die bestehenden Beziehungen ermöglich eine vertrauensvolle Atmosphäre, so dass die Protagonist*innen offen und authentisch vor der Kamera agieren können. Zudem findet sich die Schülerschaft der Mittelschule in den Filmen wieder und kann daraus Erkenntnisse für das eigene Leben ziehen. Darüber hinaus werfen wir ein Licht auf die soziale Gruppe mit dem Ziel Verallgemeinerungen in Frage zu stellen. 

 

Sie sprechen von Öffnung der Schule. Was meinen Sie damit konkret?

Susanne Starman: Wir suchen bewusst den Kontakt zu außerschulischen Kooperationspartnern. Unsere Filme laufen auf Festivals wie dem DOK.fest, Filmtage bayerischer Schulen oder beim Brechtfestival. Es geht darum, die Schüler*innen zu motivieren über den Tellerrand zu blicken und ihnen zu zeigen, dass ihre künstlerische Auseinandersetzung Spuren hinterlassen kann.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Filmarbeit?

Susanne Starman: Unser Traum wäre es, eine Filmklasse für die Jahrgangsstufen 7 bis 9 zu etablieren, in denen wir im Co-Teaching über drei Schuljahre die Schüler*innen pädagogisch und künstlerisch begleiten. Die Filmklasse würde die technischen und ästhetischen Grundlagen der Filmarbeit kennenlernen und die Fähigkeit Film als Ausdrucksmittel einzusetzen für ihr Leben nach der Schule mitnehmen. 


Wir wünschen Ihnen weiterhin Erfolg und Kraft für diese gesellschaftlich wertvolle und wichtige Arbeit! Danke für das Gespräch.

 

Gewinner*innen des 1. Hauptpreises des Jugendfilmwettbewerb 2025, Miray Erolat (Regie) und Protagonist KOKI, mit Maya Reichert

 

Gewinnerin des 1. Hauptpreises des Jugendfilmwettbewerb 2025, Miray Erolat, mit Fritz Espenlaub (Jury) und Maya Reichert

 


Dieses Interview erschien zuerst am 23. Septemer 2025 auf der Website des BLLV.

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