Wie dokumentarische Filmprojekte an Schulen gelingen können

Andreas Knorr unterrichtet Dokumentarfilm im Seminarfach

Andreas Knorr, Anita-Augspurg Berufsoberschule München
Andreas Knorr, Anita-Augspurg Berufsoberschule München

 

Seit einigen Jahren betreut Andreas Knorr gemeinsam mit einem Kollegen jedes Jahr eine Seminargruppe, die sich mit künstlerischen Dokumentarfilmen beschäftigt. Im Zuge der DOK.education Preisverleihung 2022 hat Monika Faltermeier mit ihm darüber gesprochen, wie er Dokumentarfilmprojekte in seinen Unterricht integriert und was ihn dazu motiviert.

Sie sind Lehrkraft und zuständig für die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit und Vorklasse International an der Berufsoberschule Anita-Augspurg in München. Wie sind Sie zum Film gekommen?
Meine ersten Erfahrungen als Lehrkraft mit dem Thema Film hatte ich bereits im Referendariat, als ich bei Gedenkstättenbesuchen Videotagebücher erstellen ließ. Von daher begleitet mich das Produzieren von Filmen mit Schüler*innen schon seit mehreren Jahren. Durch das Pädagogische Institut der Landeshauptstadt München konnte ich mich vor einiger Zeit zum Filmlehrer weiterqualifizieren. An mehreren Wochenenden bekamen wir – angeleitet von professionellen Filmacher.innen – einen Einblick in verschiedene Filmgenres. Dort hat mich vor allem das dokumentarische Erzählen begeistert, das ich danach auch an der Schule umsetzen wollte und konnte.

Wie ist das filmpraktische Arbeiten bei Ihnen in den Lehrplan bzw. den Unterricht eingebunden?
An der Berufsoberschule liegt in meinem Fach Pädagogik/Psychologie der Fokus jedes Jahr auf der Erfüllung der Lehrplaninhalte, da wir die Schüler*innen zur Fachhochschulreife bzw. zur Hochschulreife führen. In den Prüfungsfächern findet sich daher kaum Platz für das filmpraktische Arbeiten. An der Anita-Augspurg-Berufsoberschule haben wir es den Schüler.innen ermöglicht, im Rahmen der Seminararbeit – die in der 13. Jahrgangsstufe verbindlich ist – auch filmpraktische Arbeiten erstellen zu können. Wir begründen dabei unsere Arbeiten mit den übergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen des Lehrplans Plus. Dort ist aufgeführt, dass die Auseinandersetzung mit Gegenständen der kulturellen Bildung den Schüler.innen Zugänge zu Kunst und Kultur sowie zum eigenen künstlerischen Potenzial ermöglichen soll. Diesen Auftrag nehme ich gerne wahr. Im Seminarfach produziert jede*r Schüler*in den eigenen Film. Dazu vermitteln wir filmtheoretisches Wissen, zum Beispiel zur Erzählstruktur des Dokumentarfilms oder zu den Interviewtechniken, und führen filmpraktische Übungen durch, etwa zu Kameraführung oder Schnitt.

Die Filme Ihrer Schüler*innen haben nun mehrfach auf Wettbewerben gewonnen und laufen auf verschiedenen Festivals, dabei sind es immer Dokumentarfilme. Was ist das Besondere am Dokumentarfilm?
Für mich liegt der Reiz im dokumentarischen Arbeiten an der Möglichkeit, Geschichten erzählen zu lassen. Im Dokumentarfilm schafft man eine Nähe zu den Protagonist.innen und erfährt ihre eigene persönliche Geschichte. Und diese Geschichten sind einzigartig, so hatten wir schon Filme über einen Großvater, der sich gegen das Älterwerden stemmt, über eine Mutter, die sich für ihr Kind mit Behinderung einsetzt und über eine Seniorin, die nach einem Leben voller Arbeit nun in München von der Altersarmut bedroht ist. Die Schüler*innen entwickeln über die Auseinandersetzung mit ihrem Thema einen anderen Blick auf die Welt.

Wenn Sie die Persönlichkeitsentwicklung Ihrer Schüler*innen beobachten – was verändert sich, wenn die jungen Menschen filmpraktisch und dokumentarisch gearbeitet haben?
Filme zu produzieren ist ein Prozess, der Veränderungen bei den Schüler*innen bewirkt. Sie werfen durch die Auseinandersetzung mit ihrem Thema einen Blick über den eigenen Tellerrand, sie beschäftigen sich mit Personen und ihren Lebensgeschichten. Sie bekommen einen Einblick in eine Welt, die nicht die ihrige ist. Im Entstehungsprozess müssen sie mit den anderen Seminarteilnehmer*innen zusammenarbeiten. Gemeinsam reden sie über die einzelnen Projekte, dabei müssen sie auch das eigene Vorgehen verteidigen. Über das Schuljahr hinweg kann man erkennen, dass sie eine besondere Beziehung zu dem eigenen Film entwickeln. Sie sind stolz auf das, was erreicht wurde. Bei dem jährlich stattfindenden Dokumentarfilmabend an unserer Schule können sie das Resultat dann einem größeren Publikum zeigen.

Sie haben an der Berufsoberschule Schüler*innen unterschiedlichen Alters: macht es einen Unterschied, wie alt jemand ist, um sich mit Dokumentarfilm zu beschäftigen?
Meiner Meinung nach können Schüler*innen in jeder Altersstufe Geschichten spannend erzählen. Interessante Geschichten gibt es sogar im eigenen Umfeld zu entdecken. Das kann die Begeisterung für ein Ehrenamt sein oder auch das Leben des technischen Hausverwalters. Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden, gibt es viele.

Außerdem können wir nun im Gegensatz zu meinen ersten Filmerfahrungen mit Schüler.innen auf ein technisches Know-How zurückgreifen, da die Schüler*innen mit Smartphones und Tablets aufwachsen. Diese Fähigkeiten sollte man im Unterricht nutzbar machen. Dreh und Schnitt funktionieren mit den Errungenschaften unserer Zeit leichter und flexibler und können auch schon von den jüngeren bewältigt werden.

Was empfehlen Sie anderen Lehrkräften, die Interesse haben filmpraktische Arbeit in ihrer Schule zu starten?
Der erste Tipp wäre, es sich einfach zu trauen, da es sehr motivierend ist, den Weg zum fertigen Film begleiten zu dürfen. Von Vorteil ist es, wenn man selbst Ahnung vom Film hat. Die meisten Schüler*innen haben so gut wie keinen Berührungspunkt mit dem künstlerisch erzählenden Dokumentarfilm, kennen nur Reportagen. Dafür eignen sich etwa die bereits erwähnten Qualifizierungen zum/zur Filmlehrer*in. Ein weiteres Angebot, um den Dokumentarfilm erfahrbar zu machen, ist die Filmplattform „nextus“, die genau für den Einsatz an Schulen konzipiert wurde. Meiner Meinung nach ist dokumentarisches Arbeiten mit Schüler*innen für alle Seiten gewinnbringend. Dokumentarisches Arbeiten bedeutet Lernen mit Kopf, Herz und Hand, also etwas, was wir uns doch eigentlich alle wünschen!

Ein schönes Schlusswort - vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview ist erstmals erschienen am 18.05.2022 auf der Webseite des Jungen BLLV, Bayerischer Lehrer und Lehrerinnenverband.