Das Kino ist tot, es lebe das Kino! Bekenntnisse eines Filmfestivals, das online stattfindet.

Grußwort zum DOK.fest München @home von Daniel Sponsel und Adele Kohout

 

Nur das Kino kann, was das Kino kann.

Wer schon einmal mit uns die Eröffnung des DOK.fest München im Deutschen Theater erlebt hat, ist um ein Filmerlebnis reicher und weiß um die pure Energie, die entsteht, wenn 1.500 Menschen gemeinsam emotionale Momente teilen, lachen oder berührt sind. Der Dokumentarfilm beweist in diesem Saal Jahr für Jahr, dass er gleichermaßen verbriefte Wirklichkeit und ein Kinoerlebnis ist. Aktuell wäre leider keinem Kino geholfen, wenn das DOK.fest München einfach ausfallen würde. Die Online-Edition des Festivals ist kein Statement gegen die Filmkunst im Kino, sondern ein Lebenszeichen für diese außergewöhnlichen Dokumentarfilme, die jenseits des Festivals nirgendwo zu sehen sein würden.

 

Video killed the Radio Star.

Das Neue ist scheinbar der Tod des Bestehenden. So lässt sich die Entwicklung unserer Kulturtechniken aus emotionaler Sicht beschreiben. Wobei die Betonung auf scheinbar liegen muss: Bisher wurde keine Kulturtechnik oder gar eine Kulturgattung durch ihre Weiterentwicklung zu Grabe getragen. Und, noch nie konnte eine funktionierende und wirkmächtige neue Kulturtechnik verhindert werden, weil die bestehende doch so gut war. Bisher haben sich die Produzentinnen und Produzenten von Kultur und die Künstlerinnen und Künstler immer dieser neuen Technik frühzeitig bemächtigt, sie in ihrem Sinne genutzt und in jeder Form weiterentwickelt. Konkret formuliert: Wir werden keine Menschen zurück in die Kinos bekommen, wenn wir glauben, wir könnten ihnen die Art und Weise, wie sie Filme zu sehen haben, vorschreiben. Der Markt ist zu groß und zu liberal, um ihn regulieren zu können.

 

Kunst kommt von Können und Können kostet.

Aktuell reagieren zahlreiche Kulturanbieter im Netz auf die Beschränkungen durch die Corona-Krise mit gut gemeinten Angeboten – selbstverständlich kostenfrei. Ein grundsätzlich fragwürdiges Signal, auch oder gerade in dieser Zeit. Nach der Aufhebung der Beschränkung wird Filmkultur weiterhin im Netz zu sehen sein, wie auch schon die Jahre zuvor. Auf diese Weise forcieren wir weiter den eigentlichen Geburtsfehler des Netzes: die scheinbar urheberlose und kostenfreie Welt des digitalen Contents. Auch in seiner Online-Edition sind die Filme des DOK.fest München nur mit einem Ticket oder dem Festivalpass zu sehen. Darüber hinaus gibt es das Extraticket mit einem Solidarbeitrag für unsere Partnerkinos. Alle Preise sind niedriger angesetzt als der reguläre Zugang zum Kino, aber deutlich höher als die Angebote der Mitbewerber aus dem Silicon Valley. Die Filmkünstlerinnen und Filmkünstler, die mit hohem individuellem Einsatz diese Werke erschaffen, stehen am Ende einer fragilen Verwertungskette. Filmkunst hat ihren Preis, auch online, und es gibt genügend Besucherinnen und Besucher, die das genauso sehen.

 

Ein Filmfestival online – geht das überhaupt?

Ein Festival-Feeling entsteht durch die Begegnung von vielen Menschen in einem Kinosaal mit den Filmen auf der großen Leinwand und durch die Gespräche mit den Macherinnen und Machern im Anschluss an die Vorführungen. Beides kann das DOK.fest München in seiner Online-Edition nicht bieten. Bieten können wir allerdings die Filme an sich und haben jetzt schon die positive Erfahrung gemacht, dass die Mehrzahl der Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber mit ihren Filmen gerne dabei geblieben und neugierig sind auf das, was eine Online-Edition unseres Festivals für die Präsentation ihrer Filme bedeutet. Es gibt auch in der Online-Edition die Reihen und Wettbewerbe, analog zum Festival, wie es schon komplett geplant war. Darüber hinaus wird es Filmgespräche geben, die wir so vor Ort bisher nie führen konnten. In Videokonferenzen sprechen unsere Moderatorinnen und Moderatoren jetzt nicht nur mit den Macherinnen und Machern, wir holen Teammitglieder dazu und die Protagonistinnen und Protagonisten – beinahe emissionsfrei, inklusiver und nachhaltiger, in jedem Sinne.

 

DOK.fest München @home ein Film ist ein Film ist ein Film!

Ganz im Geiste eines wunderbaren Texts des Theaterintendanten Jochen Schölch lässt sich sagen: Der Dokumentarfilm zelebriert das Leben in seinen Widersprüchen und seiner Zerrissenheit. Er erzählt uns Geschichten über die Menschlichkeit und die Fehlbarkeit derselben, über alles, was uns als Menschen ausmacht. Dokumentarfilme sind vor allem lebendige Orte der Erinnerung: Alles, was auf der Leinwand ganz Gegenwart zu sein scheint, ist in Wirklichkeit auch schon wieder vergangen und entlässt uns in eine ungewisse Zukunft. Unser Bewusstsein für diese Ungewissheit ist die Essenz und gewährt uns die Freiheit, unseren weiteren Weg zu wählen.

 

Auf die Frage, wie es mit dem Dokumentarfilm weitergehen könnte, hat Werner Herzog in einem Interview schon im Jahr 1997 angemerkt: „Ganz egal, über welche Kanäle wir die Menschen in Zukunft mit unseren Filmen erreichen, es wird immer darum gehen, ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind.“

Was treibt uns an und um, was ist unsere Idee und Motivation, mit dem DOK.fest München eine Online-Edition zu wagen: Vielleicht schauen Sie in diesem Jahr unsere Filme tatsächlich allein zuhause, aber Sie teilen die Ideen und Ideale der Macherinnen und Macher und der Menschen vor der Kamera, die ihre Geschichte nur für Sie erzählen.

 

Ihre Festivalleitung

Adele Kohout und Daniel Sponsel