Past is now - Past is wow!
FotoDoks, das Festival für Dokumentarfotografie, ist am Sonntag zu Ende gegangen. Hier können Sie nachlesen: Ein Gespräch mit Sophia Greiff von den Fotodoks über die Lust, in Archiven zu stöbern, ungewöhnliche Selfies und die Festivaledition 2015.
In eurer neuen Festivaledition wendet ihr euch der Region Ex-Jugoslawien zu – und zwar unter dem Fokus PAST IS NOW. Wie habt ihr euch dem Thema angenähert? Zunächst haben wir uns im September 2014 mit Experten, Fotografen und Künstlern aus der Region zu einem Think Tank in München getroffen und in der kleinen Runde verschiedene Fragen und Perspektiven zum Thema diskutiert. Anschließend waren wir in allen sieben Ländern Ex-Jugoslawiens unterwegs, um uns vor Ort zu orientieren. In jeder Stadt konnten wir uns zwei bis drei Tage mit vielen Fotografen, Kuratoren und Künstlern austauschen. Unser Kooperationsfilm IN THE SHADOW OF WAR, der am 18.10. bei den Fotodoks zu sehen sein wird, entwirft ein Porträt der Nachkriegsgeneration in Bosnien-Herzegowina. Welche Rolle spielt die Vergangenheit – konkret: die Kriegsvergangenheit – in der Ausstellung? Wir zeigen unter anderem Arbeiten, die sich explizit mit dem Jugoslawienkrieg auseinandersetzen. Ziyah Gafic aus Bosnien etwa hat Gegenstände, die in den Massengräbern der Völkermordsopfer gefunden wurden, wie auf einem Seziertisch ausgelegt und fotografiert. Diese scheinbar neutralen Objekte werden wahnsinnig persönlich aufgeladen, weil die Menschen sie zum Zeitpunkt ihrer Ermordung bei sich getragen haben. Gafic hat mit diesen Bildern ein Archiv geschaffen, das jetzt sogar den Behörden dabei hilft, Personen im Nachhinein zu identifizieren. Welche Fragestellungen haben euch bei PAST IS NOW noch interessiert? Wie jedes Jahr sind auch jetzt wieder verschiedene Ansätze in der Ausstellung zu sehen. Wir zeigen Fotografien mit Bezug zum Krieg, aber auch heitere Arbeiten, die das Thema PAST IS NOW freier auffassen. So sind zum Beispiel viele Fotografen dabei, die mit Archiven arbeiten und damit auf die Flut der Bilder seit dem Siegeszug der digitalen Fotografie und der Social Media reagieren. Der Fotograf Joachim Schmid bringt diesen Ansatz auf den Punkt mit den Worten: „Macht keine neuen Fotos, bis die alten aufgebraucht sind!“. Zum ersten Mal ist mit dem Serben Vladimir Miladinovic auch ein Künstler zu Gast. Miladinovic hat in internationalen Zeitungsarchiven nach Artikeln über den Jugoslawienkrieg recherchiert und die Beiträge mit Tusche nachgezeichnet. Während seiner Zeit als Artist in Residence in München konnten wir ihm auch den Zugang zum Archiv der Süddeutschen Zeitung ermöglichen. Die Nachrichtenmedien – speziell die Bildmedien – wurden damals beschuldigt, Propaganda für die Kriegsparteien zu betreiben. Gibt es in der Ausstellung eine Auseinandersetzung mit dieser Form der politischen Instrumentalisierung? Wir zeigen eine Arbeit des slowenischen Fotografen Borut Krajnc, in der es im gewissen Sinne auch um das propagandistische Potential der Fotografie geht. Krajnc hat im Rahmen einer Wahlkampagne eine Fotoserie aufgenommen, die den damaligen Präsidentschaftskandidaten und aktuellen Präsidenten in verschiedenen Berufsrollen von Straßenkehrer bis Tierpfleger zeigt. Diese Bilder verhandeln nebenbei auch die Rolle der Fotografie im politischen Kontext. Ein besonderes Highlight der Ausstellung ist in diesem Zusammenhang eine Leihgabe des Museums für Jugoslawische Geschichte in Belgrad. Es handelt sich um ein Selfie von Tito, ein kleines Schwarz-Weiß-Foto, das den damaligen Staatschef im privaten Wintergarten seiner Sommerresidenz dabei zeigt, wie er sich im Spiegel selbst fotografiert. Kaum jemand weiß, dass Tito, der bei offiziellen Besuchen von Pressefotografen begleitet wurde, auch ein begeisterter Hobbyfotograf war. Wir fanden das Foto so spannend, weil es einer großen Menge von öffentlichen Fotografien des Staatsoberhaupts gegenübersteht und damit auch dessen Personenkult kommentiert. Wie vielfältig wie kontrovers habt ihr Ex-Jugoslawien und seine Fotografie bei eurer Recherchereise erlebt? Es war wirklich interessant zu sehen, wie unterschiedlich der allgemeine Stand der Fotografie in der Region ist. In manchen Gegenden bedeutet Fotografie hauptsächlich, schöne Bilder in guten Prints auszustellen – dabei geht es weniger darum, sich mit bestimmten Fragestellungen und Geschichten auseinander zu setzen. Wir verstehen die Fotodoks allerdings als ein Festival für Autorenfotografie und suchen deshalb immer auch nach einer persönlichen Handschrift und Haltung. In einer Stadt wie Belgrad trifft man natürlich auf vielfältigere und reflektiertere Positionen als in einem kleinen Land wie Montenegro, weil es dort schon an den grundlegenden Ausbildungsstrukturen fehlt. Welche Länder sind in eurer Ausstellung vertreten? Ursprünglich war die Idee, aus jedem Land mindestens eine Position zu zeigen. Aber letztendlich geht es uns nicht darum, einen vollständigen Überblick zu liefern (was ohnehin schwierig ist). Stattdessen wollten wir die Arbeiten vorstellen, die uns wirklich interessiert haben. Auf unserer Reise haben wir Partner getroffen, die für uns Portfolio-Reviews organisiert haben. Natürlich haben diese Leute die Auswahl damit auch entscheidend mitbestimmt. Zu sehen sind neben den deutschen Arbeiten auch Fotografien aus Kroatien, Serbien, Slowenien und Bosnien. In Montenegro, in Mazedonien und im Kosovo haben wir sehr viele interessante Künstler und Fotografen getroffen, die es aber leider nicht in die Ausstellung geschafft haben, da sie inhaltlich nicht ganz zu unserem Festivalthema gepasst haben. Wie sieht die Situation für die Fotografen vor Ort aus? So wie hierzulande halten sich die meisten Fotografen in der Region durch Auftragsarbeiten über Wasser. Für viele ist es sehr schwer, frei und künstlerisch zu arbeiten. Der serbische Fotograf Dragan Petrovic zum Beispiel war in den 1990ern als Hochzeitsfotograf unterwegs und hat bei seinen Shootings die Kamera immer wieder beiseite geschwenkt und auch die weniger spektakulären Momente der Feierlichkeiten festgehalten. Diese Bilder werden jetzt erst als Kunst entdeckt, was für Petrovic selbst ganz überraschend ist. Neben der Fotoausstellung gibt es bei den Fotodoks 2015 wieder viele Workshops, Vorträge und Podiumsdiskussionen. Wie sieht das Programm aus? Wir haben mit BELGRADE RAW eine Fotografengruppe zu Gast, die seit fünf Jahren Bilder aus dem Alltag in der serbischen Hauptstadt auf einem Blog ausstellt. Im Rahmen der Fotodoks machen sich die Belgrader zusammen mit Münchner Fotografen, Studenten und Amateuren auf die Suche nach diesen Alltagsmomenten in unserer Stadt. Außerdem gibt es einen Workshop mit dem Magazin Der Greif. Unsere Vorträge und Podiumsdiskussionen drehen sich in diesem Jahr rund um das Thema PAST IS WOW – die Freude, in Archiven zu wühlen. Dr. Ulrich Pohlmann vom Münchner Stadtmuseum, ein Fotograf von BELGRADE RAW und ein Sammler aus Hamburg sprechen darüber, welches Potential in der Arbeit mit Archiven liegt. Unter dem Motto DJ HISTORY FEAT. MC PAST REMIXING MEDIA AND ART wird es auch ein Panel über die Reflexion und Neuinterpretation gesellschaftlicher Entwicklungen durch Kunst und Kultur geben. Zu Gast ist u.a. der Künstler Simon Menner aus Berlin, der in den Archiven der Stasi recherchiert hat. In einer weiteren Veranstaltung beschäftigen wir uns mit Nachbarschaften und Identitäten im Wandel – ein Thema, das mit den neuen Flüchtlingsströmen wieder aktuell geworden ist. Uns hat interessiert, was mit den Menschen passiert, wenn aus einem Land plötzlich sieben Länder werden – oder eben wie in Deutschland – aus zwei Ländern ein Land wird? Das sind ja Lebenserfahrungen, die mittlerweile das Konzept Europa als Ganzes betreffen. Zum ersten Mal in eurer Geschichte geht ihr mit der Ausstellung in eurer Gastregion auf Tournee. Warum erst jetzt und was erwartest du dir von diesem Perspektivwechsel? Seit 2011 arbeiten wir mit einer Partnerregion zusammen. Zuletzt waren Italien, Großbritannien und der skandinavische Raum zu Gast. Eigentlich hatten wir von Anfang an die Idee, mit der Ausstellung in unser Gastland zu reisen. Dieses Mal hat es in Kooperation mit dem Goethe-Institut zum ersten Mal geklappt. Wir sind sehr gespannt auf den Austausch mit den Menschen vor Ort. Bei den Vorbereitungen für die Ausstellung sind ja auch richtige Freundschaften entstanden. Dieses Netzwerk wollen wir gerne pflegen und erweitern. Das Gespräch führte Anne Thomé.
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