Die Eröffnungsrede des Festivalleiters Daniel Sponsel

(Danksagung und Begrüßung der Ehrengäste)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr verehrtes Publikum. Herzlich will­kommen.

Es fühlt sich ein wenig an wie ein Déjà-vu. Vor einem Jahr stand ich doch auch hier und habe eine Sonntagsrede gehalten. Ein Jahr Weltgeschichte ist ins Land gegangen, vieles ist passiert, aber geändert hat sich nicht viel. Dabei haben wir so viele Filme im Programm, von denen ich glauben möchte, sie könnten die Welt retten. Also heute auf eine Neues: Was nun folgt, ist in diesem Sinne eine Produkt­information und ich bin dabei ein wenig sprunghaft

 

  1. Mai 1818 Karl Marx – 200. Geburtstag

Am Samstag, den 5. Mai, feiern wir den 200. Geburtstag von Karl Marx –  wobei sich das Feiern wahrscheinlich in Grenzen halten wird. Nun sind die Werke von Karl Marx für uns nicht ganz leicht zu lesen, aber die Erkenntnis daraus ist einfach und bislang nicht widerlegt – ganz im Gegenteil: Am Ende wird sich der Kapitalismus selbst auffressen.

Marx sprach von der Ware als Fetisch und dem Profit als Maxime und das, obwohl es zu seiner Zeit weder Hedgefonds noch Boni für Manager gab. Die wichtige Frage, warum Wachstum die treibende Kraft für die Entwicklung unserer Gesellschaft ist, stellt der vielschichtige Film SYSTEM ERROR von Florian Opitz – zu sehen hier morgen Abend als Welt­premiere im Deutschen Theater. Unbedingt hingehen.

Allerdings müssen wir uns dabei auch an die eigene Nase fassen: Das DOK.fest München wächst und wächst und wächst – Herr Reiter hat es ja auch angedeutet. Ich hoffe, wir beweisen Jahr für Jahr, dass Expansion auch sinnvoll sein kann und Freude macht – zumindest in der Kultur.

 

#MeToo / DOK.female

Ist es ein Zufall, dass die #MeToo-Debatte ihren Ausgangs­punkt in der Film­branche hatte – Filmbranche wohlgemerkt und nicht Dokumentar­filmbranche? Bezeichnend finde ich das vehemente Schweigen der Männer. Klar, an den Stammtischen redet Mann sich die Köpfe heiß, aber wo bleiben die Beiträge der Männer, die in der Position sind, einen relevanten Beitrag zu leisten? Interessanterweise war Til Schweiger einer der wenigen, die sich geäußert haben. Und das in einer respektablen Art und Weise.

Beinahe 50 Jahre nach Beginn der “neuen“ feministischen Bewegung geht es immer noch um viel mehr als den Macht­miss­brauch in der Filmbranche. Aber wer die Bilder hat, hat die Macht und umge­kehrt. Darum müssen mehr Filme von und über Frauen den Weg auf die Leinwand und die Bild­schirme finden. In diesem Sinne können auch wir als Festival einen Beitrag leisten. Mit 41% Filmemacherinnen im Programm ist der Anteil auf dem 33. DOK.fest München so hoch wie noch nie und höher als bei jedem anderen Festival dieser Größe in unserem Land.

Der Film MATANGI / MAYA / M.I.A  aus unserer diesjährigen Fokusreihe DOK.female erzählt die unglaubliche Geschichte der Musikerin Mathangi Arulpragasam. Die Tochter eines tamilischen Revolutionsführers musste mit ihrer Familie von Sri Lanka nach England fliehen. Hier wird sie zu einer der erfolgreichsten Hip-Hoperinnen, ohne je ihre Herkunft zu verleug­nen. Das ist die Geschichte einer Frau, die erzählt werden muss. Zu sehen auf dem 33. DOK.fest München.

 

FACEBOOK

#Delete_facebook klingt erst einmal gut und wäre auch konse­quent, ist aber keine Lösung in einer Zeit, in der Daten nicht nur das neue Öl, sondern vielmehr auch die aktuellste Form von Sprengstoff sind, im Guten wie im Schlechten. Via Facebook kann sich eine Revolution in einem Unrechtsstaat formieren oder die Wahl in einem demokratischen Land mani­puliert werden. Facebook kann unsere Daten für jede Art von Werbung weiterverkaufen oder eine Plattform sein, auf der eine Freund­schaft die ganze Welt umspannt. Big Data ist so oder so ein Geist, den wir aus der Flasche gelassen haben und nun nie wieder dort hinein bekommen werden. Was wir gerade erleben, ist erst der Anfang.

Es ist an Facebook den Usern Vertrauen zurückzugeben und transpa­rent zu machen, was mit unseren Daten geschieht. Es ist an der Politik, den sozialen Netzwerken genau auf die Finger zu schauen und sie auch in ihre Schranken zu weisen. Und es ist an uns allen, nicht naiv mit unseren Daten umzugehen. Gestern auf der Facebook Developer Conference hat Marc Zuckerberg erstmals neue Löschfunktionen bekannt gegeben, etwas, das bei jedem von uns genutzten Browser schon immer möglich ist.

Wie heißt es am Anfang des Films THE CLEARNERS von Hans Block und Moritz Riesewieck?: Face­book hat mehr Nutzer als der größte Staat der Welt Ein­wohner­innen und Einwohner. Der Film ist als Deutschland­premiere am Freitag hier im Deutschen Theater zu sehen.

Erinnert sich hier im Saal noch jemand an den Boykott der Volks­­zählung im Jahr 1983 – scheint das nicht Jahrhunderte her zu sein?

 

Islam und Kruzifix

Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Das ist ein Satz, der lässt sich so leicht sagen. Aber was bedeutet das für unsere Geschichte der letzten sechzig Jahre und was sollen die Konse­quenzen für die Zukunft daraus sein für die Menschen, die hier leben? Kreuze in öffentlichen Gebäuden aufzuhängen?

Interessanterweise reagierten vor allem wichtige Würdenträger der Katholische Kirche vehement. Kardinal Reinhard Marx, der Erzbischof von München und Freising und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sagte der Süddeutschen Zeitung: Wer das Kreuz nur als kultur­elles Symbol sehe, habe es nicht ver­stan­den. Das Kreuz ist ein Zeichen des Widerspruchs gegen Gewalt und Ungerechtigkeit, aber kein Zeichen gegen andere Menschen.

Wie formulierte es am Sonntagmorgen Jan Weiler auf Bayern2: Das Kreuz steht ja nicht zuletzt auch für Jesus und der entstammte einer Flüchtlingsfamilie, war Aus­länder und eigentlich noch nicht einmal Christ.

Ich komme aus Hamburg und dieses ausgeprägte Identitätsbe­wusst­sein der Bayern hat mich immer beeindruckt. Mia san mia, das ist schon ein verdammt guter Slogan mit echtem Marketing­wert. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass man hier alleine klarkommt. Die Spieler des FC Bayern haben das “Mia san mia“ hinten auf dem Kragen ihrer Trikots eingraviert. Eine erfolg­reiche multikulturelle Truppe – naja, mehr oder weniger.

Sergio Ramos, der Kaptiän von Real sagte direkt nach dem Abpfiff in einem Interview: Wer solche Spiele mit Herz und Seele bestreitet, wird am Ende belohnt. Ich frage mich, bei welchem Spiel Ramos dabei war. Oder anders herum gefragt: Kann es sein, dass auch an anderen Orten der Welt in der Kategorie "Mia san mia" gedacht wird?

Ich empfehle Ihnen den Film HIER UND DORT von Bettina Renner über einen bosnischen Jungen auf der Suche nach seiner Heimat: Deutschland darf es ja nicht sein (siehe oben), Bosnien Herzegowina ist es auch nicht, denn dort hat er nie gelebt.

 

Dank an das Team

Ich stehe hier sehr gerne auf der Bühne und eröffne das 33. DOK.fest München und bekomme dafür Ihren Applaus. Das ist eine dankbare Aufgabe, aber es ist nicht fair und wird der Arbeit, die hinter so einem Festival steckt, nicht gerecht. Nicht nur das Festival, das Sie erleben, ist enorm gewachsen, sondern natürlich auch das Team. Hier hinter mir sehen Sie die Gesichter von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und das ist nur das Kernteam. Ich danke euch allen ganz herzlich, ihr habt wieder Großes geleistet. Jetzt naht der Moment, an dem sichtbar wird, was wir in diesem Jahr der Vorbe­reitung bewegt haben.

 

OVER THE LIMIT

Was mich an OVER THE LIMIT, unserem Eröffnungsfilm, so beein­druckt: Es gelingt Marta Prus der Hochleistungssportlerin Rita Mamun ganz nahe zu kommen und trotzdem wahrt diese ihr Geheimnis – was treibt einen Menschen an, in jeder Hinsicht so sehr an seine Grenzen zu gehen?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – ich wünsche Ihnen eine gute Reise mit Rita zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro mit unserem Eröffnungs­film OVER THE LIMIT von Marta Prus.

Und, gehen Sie die kommenden Tage ins Kino und trauen Sie Ihren eigenen Augen, kommen Sie auf das 33. DOK.fest München.