Eröffnungsrede des Festivalleiters Daniel Sponsel

Deutsches Theater / 3. Mai 2017


Vorab protokollarische und allgemeine Begrüßung

Eine Eröffnungsrede ist immer eine besondere Herausforderung: Ein Jahr Weltgeschichte, ein Jahr Dokumentarfilmgeschichte und ein Jahr Arbeit für das DOK.fest Team, so viele Gedanken und nur fünf Minuten Redezeit. Ich möchte Sie mitnehmen auf eine kurze Reise um die Welt: Von Deut­sch­land, über Europa, nach Amerika und China.

Von Deutschland nach...

Ja, die Leitkulturdebatte, die ist ja nicht neu! Ich empfinde De Maizières Thesen nicht nur als einen Angriff auf den gesunden Men­schen­verstand, sondern auch auf unsere Sprache – ich bin nicht Fußball, nur weil ich diesen Sport liebe. Die erste der Thesen ist aber vor allem ein Angriff auf unser Grundge­setz. Da steht im Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar und das meint unabhängig von Herkunft und Religion, Geschlecht – ich denke, das sollte auch für Menschen gelten, die mir nicht die Hand zur Begrüßung geben.

Klar, wir haben Wahlkampf (haben wir den nicht immer irgendwo?) und Populismus ist erstmal nur eine Methode der Kommunikation, aber die Weltanschauung, die dahinter steht, ist das eigentliche Thema. Ich denke, der Dokumentarfilm ist eine Leitkultur, eine Leit­kunst, hier kann ich erfahren, wie es auf der Welt zugeht, und meine Erkenntnisse gewinnen und danach handeln.

...nach Europa über...

DOK.euro.vision heißt unsere zentrale Fokusreihe in diesem Jahr. Sie widmet sich der Frage nach dem Zustand und der Zukunft unserer Gemein­schaft. Ich frage mich seit einiger Zeit, was das genau sein soll, unsere gemeinsame europäische Identität. Im Prinzip sind wir alle stolz auf unsere nationale, ja besonders in Bayern sogar auf unsere regionale Identität – mia san mia, aber sagen das nicht alle? Was also genau ist das Verbindende in Europa, wie mache ich meinen Kindern klar, dass es wichtig ist, eine Gemeinschaft zu bilden?

Ich gehöre einer Generation an, deren Eltern den 2. Weltkrieg als Heran­wachsende durchlebt haben, und ihre Erzählungen aus dieser Zeit hallen in mir kräftig nach. Die Verabredung zur fried­lichen Koexis­tenz und die demokratischen Grundwerte sind die Wurzeln der Union. Aber sind diese Werte nicht zuletzt stark in den Hintergrund getreten? Sind wir nicht vor allem eine Währungsunion geworden, ohne Hürden für den Handel – ein Supermarkt der scheinbar unbeschränk­ten Mög­lich­keiten und des ewigen Wachstums? Geht es bei der Umsetz­ung des Brexits nicht zuletzt viel zu sehr um die Frage: Was kostest uns das?

Machen wir uns nichts vor, es ist einfach in guten Zeiten zusammenzu­stehen. Aber wie heißt es so schön: Wer ein wahrer Freund ist, beweist sich in der Not. Das Abkommen Dublin III aus dem Jahr 2013 doku­men­tiert das allgemeine Versagen der Solidarität Europas in der Flüchtlingsfrage und den Verlust der Grundwerte.

Aktuell macht ein Buch von sich reden. Der Soziologe Stephan Lessenich macht sich darin Gedanken über das soziale Versagen unserer Weltordnung. Das Buch trägt den sinnfälligen Titel: NEBEN UNS DIE SINTFLUT, wer zahlt den Preis für unseren Wohl­stand? Zahlen wir diesen Preis nicht jetzt schon selbst? Vielleicht könnte uns diese Erkenntnis aus der Reserve locken.

...über die USA nach...

Nach Europa komme ich auf die USA zu sprechen. Oder lieber doch nicht, dazu ist alles schon gesagt. Eine Anekdote sei erlaubt: Am vergangenen Wochenende, auf der großen Show zu den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft, kam Donald Trump wieder einmal auf die Medien zu sprechen. Er schaute in die auf ihn gerichteten Kameras und zeigte mit seinem berühmten “America First“-Zeigefinger der rechten Hand auf die Journalisten und sagte: Fake News, and you, all Fake News. Es bleibt zu hoffen, dass er dieses eine Mal recht behält...

Was hat das mit uns zu tun, ich meine, konkret mit dem Dokumentar­film? Ich denke ganz viel. Wie titelte es die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG: Fakten statt Fake und das MÜNCHNER FEUILLETON schrieb: Der Dokumentar­film als natürlicher Feind des Populismus.

...nach China

In den Jahren 2012 und 2013 wurde in China so viel Beton verbaut wie in den USA im ganzen 20. Jahrhundert. Jetzt habe ich einen zentralen Satz aus dem Film von David Borenstein gespoilert, wie man neudeutsch sagt. Dieser Fakt hat mich so beeindruckt, dass ich ihn hier zitieren muss. Dazu kommt eine Meldung aus der vergangenen Woche: In der gleichen Zeit, in der wir es in Deutschland nicht geschafft haben, den Flughafen in Berlin fertig zu­ stellen, wurden in China 68 Flughäfen gebaut und jetzt in Peking bald auch der größte der Welt, dessen Fertigstellung exakt auf den 15. Juni 2019 datiert ist. Das wird noch ein spannender Wettlauf für Berlin.

China lebt uns einen Turbokapitalismus in einer Art und Weise vor, die uns schwindlig macht und die Frage nach den neuen notwendigen Grundwerten wie Nachhaltigkeit und Ressourcen in ein ganz anderes Licht stellt.

Was mich an DREAM EMPIRE, unserem Eröffnungsfilm, so beein­druckt: Es gelingt David Borenstein das ganz kleine, das private Glück in den Kontext der Entwicklung eines ganzen, in diesem Fall, sehr großen Landes zu stellen. Und er schafft es das Ganze sinnlich-ästhetisch begreif­bar und emotional erlebbar zu machen – mehr kann Kunst nicht leisten.

Abschließend herzlicher Dank an die Förderer, Sponsoren, Partner und das DOK.fest Team

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ich wünsche Ihnen eine gute Reise in das Herz des chinesischen Traums mit unserem Eröffnungs­film DREAM EMPIRE von David Borenstein.